Samstag, 6. März 2010

Was liest du? Die Wahre Bücherliste, März 2010.

Liebe Leserinnen und Leser,

diesmal gab es wohl einen kleinen Wettbewerb unter den Mitmachern der Bücherliste. Es erreichten mich diesmal nicht nur viel mehr Einsendungen als sonst, sondern zwei – von denen einer wie der andere Thomas heißt – duellierten sich in der noch nicht olympiazugelassenen Disziplin „Wer schreibt die meisten Rezension und dann am besten gleich die längsten“. Wer gewonnen hat? Natürlich Thomas. Zeilenmäßig der Windows-Thomas, bei der Anzahl der Rezensionen der Mac-Thomas.

Was das mit großer Kunst, mit großer Literatur zu tun hat? Das fragte ich mich heute bei der morgendlichen Zeitungslektüre über große amerikanische Erzähler auch: Don DeLillo hat ein Buch mit nur 111 Seiten geschrieben, Philip Roth mit 138. Trotzdem ist das Buch von Roth günstiger, es kostet nur 15,90 Euro, das von DeLillo dagegen 16,95 Euro. Heißt das jetzt, dass Letzterer mehr Geld verdienen möchte? Oder Ersterem das Schreiben leichter von der Hand gegangen ist? Das hat auch nichts mit Kunst zu tun, auch nicht mit Literatur, sondern mit Preisgestaltung. Aber auch das gehört zum Literaturbetrieb. Wie die Tatsache, dass man Bücher nicht immer nach Noten sortieren muss.

Und jetzt viel Spaß mit der März-Bücherliste!

Liebe Grüße. Dirk.


BELLETRISTIK

1. Gabriel García Márquez: El amor en los tiempos de cólera (oW)
Noch etwas langatmig. Aber ein interessantes Ambiente und ein paar scharfe Bemerkungen zum Thema „alt werden“, die manch einen bedrücken würden.

2. Robin Wasserman: Skinned (2)
Eine Zukunftsvision, was die Überlebenschancen von (eigentlich) klinisch Toten betrifft. Was macht aber die Seele mit der Tatsache, dass sie nunmehr in einem künstlichem Körper wohnt?

3. Nick Hornby: High Fidelity (oW)

4. Mary Higgins Clark: Und hinter dir die Finsternis (2+)

5. Simon Beckett: Kalte Asche (2-)
Kommt nicht an das erste Buch heran, ist aber dennoch spannend.

6. Dennis Lahane: Shutter Island (2)
Zack, schnell noch das Buch reingezogen, bevor demnächst die Verfilmung vom Großmeister Martin Scorsese an den Start geht. „Shutter Island“: Kräftig, spannend, morbide, leider nur noch als Taschenbuch zu haben. Dennis Lahane ist ein Vielschreiber, „Shutter Island“ mein erstes Buch von ihm. Aber nicht das letzte. Soll heißen: Spannung pur, dicht, schnell, hart und seine Erzählweise schlägt alle dämlichen Stieg Larsons dieser Zeiten um Längen. Überhaupt mache ich ab sofort einen großen Bogen um alle Autoren, die zu faul sind, sich vernünftige Titel auszudenken. Vergebung, Vergeltung, Verwurstung, Verarschung – nicht mit mir!

7. Kristof Magnusson: Das war ich nicht (3)
Jau, das war ein Spaß. Wunderbar verwobene Geschichten á la Robert Altman, in der sich alle irgendwie zufällig begegnen und am Schluss alle kriegen. Anspruchslos und daher ein prima Ferienbuch. Macht Spaß, tut keinem weh und man ist schnell durch. Seinen Roman „Zuhause“" habe ich nach der Hälfte in die Ecke gefeuert. Ich schätze, eine Überdosis Belanglosigkeit war der Grund meines Handelns. Grund genug, mein Hirn zu entgiften und mutig in die Anspruchsecke zu greifen: Tschechow!

8. Anton Pawlowitsch Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen (1,5)
Was hat die Schauspielerin Kate „seufz“ Winslet mit Tschechow zu tun? Folgendes: Beim Versuch, von mir verpasste Kinofilme per DVD nachzuholen, fiel mir der Film „Der Vorleser“ in die Hände. Da Kate „doppelseufz“ Winslet eine der Hauptrollen spielte, war die Sache klar: Den Film schau ich mir an. In diesem Film las der junge Protagonist der auf alt geschminkten Kate „bitte heirate mich!“ Winslet Passagen aus dem oben erwähnten Buch von Tschechow vor. Und das war toll. So toll, dass ich mir natürlich sofort das Buch bestellte und mich mutig zwischen die Seiten warf. Was für eine Wohltat, was für eine Wortwahl, was für ein Roman! „Die Dame mit dem Hündchen“ erschien im Jahr 1899 als Beilage in einer Zeitung mit dem Titel „Eine Erzählung“. Tschechow erzählt die Geschichte einer unglücklichen, aber doch irgendwie glücklichen Liebe – und von einem Frauenverachter und gleichzeitig Frauenheld, der erst im Alter die wahre Liebe kennenlernt. Wer das Buch geschafft hat, darf zur Belohnung Nick Cave lesen …

9. Nick Cave: Der Tod des Bunny Munro (1,5)
Nick Cave liebt man oder man liebt ihn nicht – ich war bisher nur Fan seiner musikalischen Genialität. Und wer die in Zweifel zieht, hat noch nie seine Interpretation von Leonard Cohens „Suzanne“ gehört. However, warum ich dieses Buch liebe, liegt auf der Hand: Es ist schnell, es ist gut und es ist so verdammt komisch, dass es teilweise weh tut. Der Plot erinnert stark an „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller – aber die Umsetzung ist so verdammt schräg, dass es ein Drehbuch der Cohen Brüder sein könnte. Die ersten 50 Seiten will man den Protagonisten wachrütteln, ihm zurufen: „Lass den Scheiß“ – aber es nutzt nix. Am Ende ist tatsächlich alles am Ende und man will „Bunny“ nur noch in den Arm nehmen und trösten … Vordergründig ziemlich frauenfeindlich (wofür er sich am Ende bei ein paar namentlich erwähnten Celebs sogar entschuldigt) und so voller Witz, wie es mir selten in einem Buch begegnet ist. Ich sag nur: „Dann komm mal rüber und lutsch Mama den Schwanz“. Waaaah, lachmichschlapp.

10. D. H. Lawrence: Mr. Noon (3)
Eine Reise nach St. Ives, Cornwall, Südengland war für mich im Nachhinein der Grund, mir den autobiografischen Roman des Altmeisters nach meinem Urlaub zu kaufen – und zu lesen. Ausschlaggebend war, dass unser Cottage vis-à-vis zum Haus von D. H. Lawrence und seiner Frau Frieda von Richthofen – die für kurze Zeit um 1910 hier lebten – stand. Dies erzählte mir ein alter, bärtiger Eingeborener beim abendlichen Ale im „The Tinners Arms“. Ein Pub, von dem übrigens D. H. Lawrance sagte: “It is the best place I have been in, I think”. Aber jetzt zum Buch: Well, indeed, voller sprudelnder Lawrence’scher Lebendigkeit, könnte man sagen. Aber irgendwie ganz schön zäh. Der erste Teil fesselt noch durch spannende Milieuschilderungen, der zweite Teil nervt irgendwann durch ein ewiges Hin und Her der bis zum Ebrechen detailliert beschriebenen, schwierigen Beziehung. Das Schlimmste: kein Wort über die phantastischen Landschaften rund um Zennor. Fazit: Buch muss nicht sein, Cornwall sollte man unbedingt mal besuchen.

11. Helene Hegemann: Axolotl Roadkill (oW)
Komisches Buch „von der Tochter von“, ich habe es nach 40 Seiten weggelegt. Mal abgesehen von der ziemlich dreisten Haltung in Sachen Quellen – ich habe dem nichts abgewinnen können. Wer liest denn diesen pubertären Quark wirklich?

12. Doris Dörrie: Was wird aus mir? (2)
Schräge Story über einen unendlich schwachen, vom kurzen Erfolg komplett korrumpierten deutschen Regisseur und seine ehemaligen Weggefährtinnen, Er hat alle seine Ideale in Hollywood verloren und verraten, die Frauen schlagen sich so durch und machen sich ihre Gedanken. Lustig und voller guter Beobachtungen, Dörriesk zugespitzt, ich fand es toll, weil es stellenweise eben doch voller Wärme ist.

13. Heinrich Heine: Das Buch Le Grand (oW)
Manchmal habe ich von allem genug. Ich habe einfach keine Lust, immer den SPIEGEL oder DIE ZEIT bei der Auswahl des Lesestoffs zu Rate zu ziehen. Keine Lust auf 17-jährige Wunderkind-Autorinnen, die zwar abschreiben, dabei aber immerhin „irgendwie regiemäßig“ vorgehen. Du liebe Güte. Keine Lust auf selbsternannte Analysten des geistigen Zustands unserer Nation, die sich und uns fragen, wer sie denn nun sind – und wenn ja, wie viele. Oder wie oder was. Einfach keine Lust. Stattdessen: Rückzug ins Private, innere Emigration – oder Zuflucht zu den Klassikern. Heinrich Heine hat meiner Heimat Düsseldorf sogar noch posthum manchen Eklat beschert. Grund genug, herauszufinden, was er eigentlich zu Lebzeiten über seine Geburtsstadt zu berichten wusste. In seinem „Buch Le Grand“ verschmelzen Kindheitserinnerungen mit erotischen Anspielungen, Weltgeschichte mit Weltschmerz, bitterer Zynismus mit überschwänglicher Lebensfreude. Ach ja, und niemand konnte und kann eine spitzzüngige literarische Gesellschaftskritik mit einem solch entwaffnenden Augenzwinkern üben wie Heine. Vielleicht weil er nicht Gefahr lief, sich am nächsten Tag bei Maischberger verschleißen zu müssen. Heine schildert die allgemeine Euphorie beim Einzug Napoleons durchs Ratinger Tor. Er erzählt von ausgebrannten, zerlumpten Kriegsheimkehrern. Er turtelt in blumigen Monologen, die sich als Dialoge tarnen, mit den hübschen Rheinländerinnen, während er ihren bornierten männlichen Pendants zwischen den Zeilen verbal in den Allerwertesten tritt. Und er tut all das in diesem wundervoll feinen, fernen Deutsch seiner Zeit, das nach Bohnerwachs und Lavendel, nach Bier und Schweiß, nach Pfeifentabak und Sattelfett riecht. Diese Sprache, die ihm so viel zu verdanken hat, die wie in Öl gemalt und so tröstlich ist, dass man sich bei ihrem Klang wieder wie ein Kind fühlt. Heinrich Heine. Tut gut.

14. Herbert Eulenberg: So war mein Leben (oW)
Wer bitte war Herbert Eulenberg? Das habe ich mich jedes Mal gefragt, wenn ich am Kaiserswerther Rheinufer den nach ihm benannten Weg entlangging. Bis ich dann vor ein paar Wochen diese Autobiografie von ihm in die Hand bekam.
Der bescheidene Band, erschienen 1948, mit seinen mikroskopisch klein bedruckten Seiten aus minderwertigem Papier vermittelt allein schon durch seine Kargheit viel vom Geist der Nachkriegszeit. In ihm beschreibt ein Mann in geschliffenem Stil und aus professioneller Distanz seine Kindheit in Köln-Mülheim, sein Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und München, sein kurzes berufliches Intermezzo im preußischen Staatsdienst, seine zahlreichen Reisen – und vor allem seine literarische Arbeit, die ihm schon bald den Ruf eines der bekanntesten deutschen Essayisten, Dichter und Bühnenautoren einbrachte. Die von ihm als Chefdramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus veranstalteten Matinees waren seinerzeit das Highlight des Düsseldorfer Kulturlebens. In seinem „Haus Freiheit“ an der Kaiserswerther Burgallee gaben sich Literaten wie Hermann Hesse, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann oder Stefan Zweig, Schauspieler wie Heinrich George, Gustav Gründgens, Heinz Rühmann oder Maler wie Otto Dix, Lovis Corinth und Max Pechstein die Klinke in die Hand. 1933 dann der Einschnitt: Eulenbergs philanthropische Ansichten passten nicht ins Weltbild der Nazis und bis auf einige unter Pseudonymen verfasste Artikel für eine Lokalzeitung blieben die Aufträge aus. Und nach dem Krieg? Die Welt hatte genug mit sich selbst zu tun und gab dem alternden Eulenberg keine Gelegenheit mehr, sich noch einmal in ihr Bewusstsein zu rufen. Das erledigten einige Jahrzehnte später die Kaiserswerther Stadtväter, die ihm mit dem schon erwähnten Rheinuferweg, einer Büste im Garten der Kaiserpfalz sowie einer Gedenktafel an seinem „Haus Freiheit“ kleine Denkmäler setzten. Eulenberg starb übrigens 1949 an den Folgen einer Verletzung, die ihm ein herabfallendes Trümmerstück beim Spaziergang durch sein zerbombtes Kaiserswerth beibrachte. Beinahe ein so spektakulärer Abgang wie der seines Kollegen Ödön von Horváth, der elf Jahre zuvor von einem morschen Ast auf der Champs-Élysées erschlagen wurde – aber eben nur beinahe. Nicht falsch verstehen: Das Buch ist sicher keine Weltliteratur, eher schon ein sehr persönliches Stück Zeitgeschichte. So wie das Tagebuch eines längst verstorbenen Vormieters, das man in irgendeinem verstaubten Kellerwinkel findet und das einen das eigene Zuhause plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive sehen lässt.


15. David Foster Wallace: Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich (oW)
Nach diesen beiden Werken aus einer vergangenen Welt hatte ich die Wahl, entweder mit einer antiquarischen Ausgabe von Clara Viebigs „Wacht am Rhein“ in pupillenerweiternder Fraktura-Typografie weiterzumachen oder der Buchempfehlung meiner Schwester zu folgen. Wie meistens war auf meine Schwester auch in diesem Fall Verlass. „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ ist der zum Brüllen komische Bericht eines amerikanischen Journalisten über die paranoide Parallelwelt an Bord von Luxuskreuzfahrtschiffen.
Wallace arbeitet akribisch all jene sinnentleerten Gesetzmäßigkeiten dieser Branche ab, denen ich selbst als Tourguide auf Flusskreuzfahrten täglich ausgesetzt bin: Fragen hart an der Debilitätsgrenze, eine vom zermürbenden Fröhlichkeitszwang abgestumpfte Crew und ein perfides Rahmenprogramm, das die Passagiere glauben machen will, Fressen, Saufen und Glücksspiele seien elementare Bestandteile eines erfüllten Lebens. Für mich war es ein erfrischender Perspektiv-Wechsel, denn ich erlebte viele typische Abläufe zur Abwechslung einmal aus der Sicht eines Passagiers, der sich der Verblödungsmaschinerie einer solchen Cruise nicht kampflos ergibt – obwohl er das eine oder andere Mal mit dem Gedanken spielt. Denn irgendwann kommt man, sei es nun als Gast oder Angestellter, während jeder Cruise an den Punkt, an dem man sich fragt: „Geh ich ins Wasser oder schwimm ich mit dem Strom?“ O-Ton Wallace: „Ich habe Steeldrums gehört, Meeresschneckenbeignets gegessen und war Zeuge, wie eine Frau in Silberlamee einen gläsernen Aufzug von innen flächendeckend vollgekotzt hat.“ Sie haben recht, Mr. Wallace, so ist es. Und noch viel, viel schlimmer.


16. Michael Connelly: Der Poet (oW)

17. Karen Duve: Taxi (2+)
In einem Wort: toll! Dichte, präzise Sprache, glaubhafte Charaktere und eine Geschichte, die federleicht zwischen Tragik und Komik changiert. Ein großer Lesespaß!

18. John Connolly: Das Buch der verlorenen Dinge (2)
Eine Mischung aus „Pans Labyrinth“ und „Big Fish“: kurzweilig, etwas fantastisch und am Ende gibts "die Moral von der Geschicht".


SACHBUCH

1. Eva Gesine Bauer: Frankreich - Der Reichtum der einfachen Küche (2)


Warum gibt es eigentlich die Wahre Bücherliste? Weil sie beweist, dass Bestseller-Listen Bestseller-Listen sind. Und die Wahre Bücherliste die wahrscheinlich einzige Liste ist, die Bücher auflistet, die auch gelesen und nicht nur gelistet werden. Von echten Leserinnen und Lesern. Die noch echt lesen. Und wie geht das? Verschiedene Leute reichen die Titel der Bücher ein, die sie im vergangenen Monat gelesen haben bzw. gerade lesen. Sie benoten das Buch – wenn sie wollen – und schreiben eine kleine Kritik – wenn sie wollen. Mitmacherinnen und Mitmacher schicken eine E-Mail an: whoa@gmx.de – alles Weitere per Mail.

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Zuletzt aktualisiert: 5. Nov, 15:11

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